50 Jahre Olympisches Dorf in München: 1972 – 2022

Die Landeshauptstadt München war Ende der 60er Jahre im Olympiarausch. Vielleicht nur vergleichbar mit Berlin Mitte der 90 er Jahre.

Die ganze Stadt war eine einzige Großbaustelle

Die Innenstadt von München wurde mit dem neuen S-Bahn System und gleichzeitig mit dem U-Bahn System ausgehöhlt, aufgegraben und zu-betoniert. Eine großartige Kraftanstrengung. Als Junge mit ein paar Jahren bestand die Innenstadt nur aus tiefen Baugruben und Baukränen im kompletten Luftraum. Was denn auch sonst.

Am östlichen Ende des Oberwiesenfeldes entstand an der Lerchenauerstraße im Schatten der Großbaustelle Olympiagelände das Olympische Dorf als Unterkunft für die AthletInnen und die FunktionärInnen der XX. Olympischen Sommerspiele im Jahr 1972.

 

Das Olympische Dorf wird heuer 50 Jahre alt (1972 – 2022)

Grund genug einen fotografischen Spaziergang durch dieses architektonische Experiment in München zu unternehmen. Das Olympische Dorf wurde bewusst als Stadt in der Stadt konzipiert und als eigener Stadtteil mit einer intensiven Nachnutzung ausgedacht. Das fehlt vielen späteren Austragungsorten der Olympischen Sommer- und Winterspiele.

Im Jahr 1982 wurde das Olympische Dorf mit 12.000 Bewohnern auf 220.000 qm angegeben. Das Dorf war auf der Oberfläche als autofrei konzeptioniert. Die Wege zwischen den Wohnstraßen sind verschlungen und werden durch die farbigen „Media Lines“ für die Bewohner erleichtert. Hier als Beispiel die Gelbe Linie (Helene-Mayer-Ring) und die Grüne Linie (Nadistraße).

Im Hintergrund der von vielen Plätzen als Dominate sichtbare Olympiaturm, für mich erleichtert er die Orientierung sehr.

 

Massive Verwendung von Beton in dynamischer Architektur

Die Meinungen gingen diametral auseinander, ob das nun schön oder gelungen ist.

Die Architektur wird dem Brutalismus zugerechnet und ist eine Architekturströmung der Moderne, welche die neuen Möglichkeiten des Bauens ab 1950 Verbreitung fand. Der Begriff bezeichnet vor allem die üppige Verwendung von Sichtbeton, so etwa im französischen den Begriff béton brut (roher Beton, Sichtbeton).

Die Gebäude im Großraum München sind ganz typisch in dieser Bauform und für mich eigentlich fast selbstverständlich mit dieser Zeit und damit den Olympischen Sommerspielen verbunden:

  • Olympia Regattaanlage Oberschleißheim
  • Realschule (früher) an der Sandstraße
  • ASV Sporthalle in Dachau

Aus dieser massiven Verwendung des Baustoffs Beton ergibt sich für den Betrachter aber ebenso dieser Eindruck einer sehr dominanten Architektur. Der Mensch fühlt sich sicher sehr klein und unbedeutend in Mitten dieser Architektur.

 

An einem sonnigen Frühlingstag ist es überall angenehm, aber …

… wie fühlt es sich an einem nasskalten, zugigen Wintertag in Mitten dieser Betonwüste an. Das können uns vor allem nur die BewohnerInnen selbst Auskunft geben.

Die üppige Verwendung der farbigen Leitlinien und Schildern lockert die nackte Kälte des Sichtbetons schon merklich auf.

 

Ausrichtung auf die Sonne nach Südwesten

Die ausladenden und mit massiven Blumenkästen ausgestatteten Wohnungen in der terrassenförmig angelegten Wohnblöcke sind nach Süden/Westen ausgerichtet, so dass das angenehme Licht und die Wärme des Nachmittags ausgiebig genutzt werden kann.

Eine gefühlte Ebene niedriger sind Gemeinschaftseinrichtungen und Gemeinschaftsräume angesiedelt, so dass möglichst viele Wohnungen einen schönen Ausblick nach Süden/Westen haben können. Die terrassenförmiger Anlage der Stockwerke mit den massiven Blumenkästen führt dazu, dass die Wohneinheiten nach oben immer kleiner werden. So kann das Olympische Dorf trotz der einheitlichen Architektur Wohnungen mit ganz unterschiedlichen Attributen anbieten.

 

Brutalismus bis auf den Spielplatz

Das architektonische Konzept des Brutalismus zieht sich durch das ganze Areal. Die Autos sind komplett in den Untergrund verbannt, eigentlich auf der Ebene der umliegenden Straßen. Das ganze Areal steht auf Stelzen aus Beton und ist eine Ebene nach oben verlegt. Das macht die Verkehrsebene ganzjährig dunkel und ungemütlich.

Das Konzept war wohl Programm für alle Ecken des Geländes. An der nord-östlichen ecke, an der Kreuzung Lerchenauerstraße/Moosacherstraße ist unscheinbar ein Kinderspielplatz versteckt. An dessen Ecke hatte der Architekt wohl zwei Laster Fertigbeton zu viel bestellt – was machen wir damit.

Damit die spielenden Kinder sich schön früh an den Brutalismus gewöhnen

Würde man sich als kleines Kind nicht auch in die zauberhafte Betonschnecke kuscheln und die Träume und Sehnsüchte eines Kleinkindes träumen.

Vermutlich nicht, da gibt es inspirierenderes auf der Welt

Und wie sieht es auf der Rückseite aus. Na so wie überall, wenn die Sonne und die architektonisch weitgreifenden Muster fehlen und sich Pragmatismus einschleicht.